Die Geheimnisse der Chronogramme – das Spiel mit Wort und Zahl

von Ulrike Wilken-Pott

I, V, X, L, C, D, M, diese Buchstaben sind zugleich römische Zahlzeichen und stehen für: I = 1, V = 5, X = 10, L = 50, C = 100, D = 500 und M = 1000. In einem – zumeist in lateinischer Sprache verfassten – Satz, Sinnspruch oder einer Inschrift lässt sich mit diesen Zahlzeichen die Jahreszahl, auf die sich der betreffende Text bezieht, verschlüsselt angeben.

Einen solchen Text, in dem die Buchstaben, die zugleich römische Zahlzeichen sind, addiert werden, nennt man Chronogramm. Dieses griechische Wort bedeutet „Zeitinschrift“.

Für das Verfassen eines Chronogramms gelten ganz bestimmte „Spielregeln“:

  1. alle im Text vorkommenden Zahlzeichen müssen addiert werden; nur dann liegt ein „sauberes“ Chronogramm vor. Werden nicht alle Zahlzeichen berücksichtigt, spricht man von einem „unsauberen“ Chronogramm. Das Anfertigen eines „unsauberen“ Chronogrammes erfordert zumeist keine größere Anstrengung, die richtige Jahreszahl muss dann aber auf jeden Fall durch farbige Markierung oder Großschreibung der benötigten Zahlbuchstaben eindeutig gemacht werden, weil man sonst bei der Addition zwangsläufig zu einem falschen Ergebnis kommt.
  2. Alle Zahlzeichen werden einzeln addiert, unabhängig von der Reihenfolge ihres Auftretens. Gelingt es jedoch, die Zahlzeichen in ihrer richtigen Reihenfolge im Text anzuordnen, was besonders schwierig ist und nur selten gelingt, spricht man von einem „natürlichen“ Chronogramm; z. B. AMORE MATVRITAS = MMVI = 2006.
  3. Sogenannte „Blindwörter“, also Wörter, die keine Zahlbuchstaben enthalten, sollten im Chronogramm nicht vorkommen. Nur ein Chronogramm ohne Blindwörter ist ein „reines“ Chronogramm.

Besonders kunstvolle Chronogramme sind in Versmaßen verfasst: So nennt man ein im Hexameter verfasstes Chronogramm „Chronostichon“, wohingegen ein im Distichon, also Hexameter und Pentameter geschriebenes Chronogramm, „Chronodistichon“ heißt.

In manchen Chronogrammen kommt die Jahreszahl zweimal vor, ein solches Chronogramm wird als „Doppelchronogramm“ bezeichnet. An die Möglichkeit eines Doppelchronogrammes muss man immer dann denken, wenn die ermittelte Jahreszahl nicht zu dem Ereignis passt oder gar in der Zukunft liegt. Hier empfiehlt es sich, zunächst die gesamte Zahl auszurechnen und dann durch zwei zu teilen.

Bei den meisten Chronogrammen sind die Buchstaben, die zugleich als Zahlzeichen dienen, farbig markiert oder durch Großschrift besonders hervorgehoben. Fehlt diese Hervorhebung, spricht man von einem „Krypto(chrono)gramm (griechisch: krypto = ich verberge).

In der Antike waren Chronogramme ungebräuchlich, erst im 15. Jh. kamen sie in Deutschland und ganz Europa auf. In der Renaissance- und Barockzeit des 17. und 18. Jh. erlebte dieses kunstvolle und geistreiche Spiel mit Wort und Zahl seine Blüte, als sprachliches „Kleinkunstwerk“ gilt es auch heute noch als ein bemerkenswertes Zeugnis für die Schönheit der lateinischen Sprache.

Chronogramme findet man in Kirchen und weltlichen Bauwerken, auf Weihinschriften, Gedenksäulen, Glocken und Sonnenuhren ebenso wie auf Münzen und Medaillen und in Hand- und Druckschriften.

In jüngster Zeit erfreut sich das Verfassen von Chronogrammen – auch in der jeweiligen Landessprache – wieder wachsender Beliebtheit.

Neugierig geworden? Dann geht einmal mit offenen Augen durch Osnabrück und achtet auf lateinische Inschriften, in denen einzelne Buchstaben besonders hervorgehoben sind. Handelt es sich dabei um Zahlzeichen, habt Ihr sicher ein Chronogramm entdeckt.