Das schweigende Klassenzimmer

Ein Theaterstück nach einer wahren Begebenheit

Spot on: eine Ansagerin (Riana Szepst) erläutert frei sprechend den historischen Hintergrund der folgenschweren Jugendgeschichte aus der DDR zur Zeit der Besatzungszonen in Berlin. Eine Fotographie des geteilten Berlins, projiziert im Hintergrund, führt ein in das Leben der Stadt, deren Bewohner sich 1956 noch frei zwischen den Besatzungszonen bewegen konnten. Und schon läuft das Theaterstück ab wie im Film.

49 kleine Spielszenen, in Bild, Licht und Ton gekonnt veranschaulicht durch das Tonregie- Team versetzen uns in den Alltag einer Abiturklasse der DDR.

Die beiden Schüler Theo Lemke, herrlich authentisch, engagiert und lautstark repräsentiert von Theresa Dobbe, und Kurt Wächter alias Paul Südmersen, der in der Rolle des mutigen Freiheitskämpfers das Publikum ebenso überzeugend mitnahm, machen eine Fahrt nach West-Berlin und kommen dort durch die Wochenschau an Informationen über eine studentische Demonstration in Budapest. Während Kurt und Theo von Anfang an sich auf die Seite der Ungarn stellen, zeigen sich der „betont lässige“ Mitschüler Paul, hundertprozentig verkörpert durch Gabriel Schawe, ahnungslos und der linientreue Erik, in seiner Identitätsproblematik sehr gut nuanciert dargestellt von Marie Potthoff, ablehnend.

Die Sache wird in der Klasse weiter diskutiert und auch die Mädchen Lena, Theos Freundin, (sehr einfühlsam gespielt von Greta Marie Schönemann), Klara und Regina sind dabei, als es zu Pauls Onkel Edgar geht, der sie dort den verbotenen Westsender RIAS hören und frei diskutieren lässt. Die Väter der Schüler hingegen befürchten, dass das freie Denken die Karriere ihrer Kinder kosten könnte und fordern deren Anpassung und Unterordnung. Verständnisvoller zeigen sich die Mütter und Lenas blinde, allein stehende Großmutter.

Während der überzeugend gütig erscheinende Direktor Schwarz (Sara Ellermann) die Schweigeminute, welche die Schüler als Protest gegen die gewaltsame Niederschlagung des ungarischen Aufstandes im Unterricht von Lehrer Mosel (sehr eindringlich dargestellt von Merle Wiebe, die in der Zweitrolle auch als Pfarrer Melzer überzeugte) einlegen, nicht aufbauschen möchte, reagiert die Schulbehörde sehr empfindlich und stellt Verhöre an, um die Rädelsführer zu ermitteln.  Kreisschulrätin Kessler (wunderbar streng gespielt von Lina Elixmann und Emma Czirpek) und der gnadenlose Volksbildungsminister Lange, in seiner antifaschistischen Haltung deutlich akzentuiert durch Adrian Saatkamp, setzen die Schüler derart unter Druck, dass Erik den alten Edgar und Kurt verrät. Als Erik jedoch von der Behörde erfährt, dass sein Vater als Kollaborateur gehängt wurde, verletzt er den Leiter der Schießübungen, stellt sich danach aber selbst.

Die Schulbehörde will den Ungehorsam der Schüler daraufhin auf Erik abwälzen, was die Schüler jedoch durch ihre solidarische Haltung nicht zulassen. Kurt flieht in den Westen. Republikflucht wird von der Behörde als Schuldeingeständnis ausgelegt, die Klassenkameraden bekennen sich jedoch offen zur gemeinsamen Aktion, weshalb sie unverzüglich aus der Schule und vom Abitur ausgeschlossen werden.

Das Schlussbild zeigt die reale Abiturklasse nach 40 Jahren bei einer Wiederbegegnung im Klassenraum der tiefgreifend lebensverändernden Schweigeminute von 1956.

Ein ergriffenes Publikum zollte dem fantastischen Schauspielteam an vier Abenden gebührenden und anhaltenden Applaus.

Viele Eindrücke vom Theaterstück finden sich in unserer Bildergalerie.

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